Brigitta Falkner: Fabula Rasa oder die methodische Schraube

Mit ihrem neuen Buch «Fabula Rasa» erweist sich Brigitta Falkner einmal mehr als Meisterin der Wortverdrehungskunst.

Was haben die Fachzeitschriften Filmkritik und Big Tits gemeinsam? Richtig! Beide haben als einzigen Vokal ein i im Namen. Weswegen sie auch zwingend in Brigitta Falkners Storyboard «Prinzip i» vorkommen. So wie auch «Kim» von R. Kipling oder ein Krimi mit dem Titel «Picknick im Lift». Selbstverständlich beginnt «Prinzip i» in Linz, wo fast alles beginnt, außer die Biografie der Autorin; Brigitta Falkner nämlich wurde in Wien geboren. Und zwar 1959. Viel mehr weiß man nicht und braucht man auch nicht zu wissen; jedenfalls nach Auffassung der Autorin, die Interviews verweigert, weil sie sich mit ihrer Person und ihrem Lebenslauf nicht vors Werk stellen will. Von dem man immerhin weiß, dass es «Anagramme, Bildtexte, Comics» umfasst (so der trockene Titel eines 1992 im Verlag Das fröhliche Wohnzimmer erschienenen Buches). Die Anagramm-Dichtung, also die hohe Kunst, durch Buchstabenvertauschen aus einem alten ein neues Wort zu bilden – also, sagen wir, «Kalif ritt bergan» aus «Brigitta Falkner» – ist ja schon einmal eine schwierige Sache. Palindrome sind dann noch eine Spur härter. Das sind Wörter und Sätze, die, von vorne und hinten gelesen, dasselbe ergeben («Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie»). Darüber, wie Otto und seine Freunde ein Palindrom machen, gibt Falkner in ihrem soeben erschienenen Buch «Fabula Rasa Oder die methodische Schraube» Auskunft. Davor hat sie aber auch schon selber welche gemacht. Wer den Titel ihres 1996 erschienenen Buches «TobrevierSchreiverbot» ein bisschen genauer betrachtet, wird feststellen, dass das «sch» gleichsam den Spiegel darstellt, in den das «Tobrevier» blickt, um sich darin als «Reiverbot» zu erkennen. An (B)Revieren hat Falkner offenbar ihre Freude. Kommt zum Beispiel ein Mann in ein Geschäft für «Verbrecherbedarf» und verlangt «Radebrecherbreviere». Der Verkäufer muss ihm leider mitteilen, dass diese «aus» sind, worauf sich der Kunde denkt, dass das doch eine ziemliche «Sauerei» sei. Und zwar eine verdammt ausgefuchste. Wenn man die Radebrecherbreviere nämlich um den Verbrecherbedarf kürzt, bleiben einem einerseits ein «f» und andererseits «iere» über. Letztere benötigen wir aber ohnehin für die «Sauerei», und die «Sau» entspricht natürlich dem abschlägigen «aus» des Verbrecherbedarfhändlers. Das f bleibt also unabgegolten, und das stellt – anagrammtechnisch – in der Tat eine kleine Sauerei dar. Aber wer auf so findige, witzige und intelligente Weise mit Buchstaben und Wörtern jongliert wie Brigitta Falkner, darf sich kleine Regelverstöße ruhig erlauben. Den größten Teil von «Fabula Rasa» nimmt das Lipogramm «AU! Die methodische Schraube» ein. Lipogrammatische Literatur ist Vokalvermeidungsdichtung. Das bekannteste Beispiel ist Georges Perecs «e»-loser Roman «Anton Voyls Fortgang» – paradoxerweise übersetzt von einem Mann namens Eugen Hemle. Im Falle von «AU!» sind eben nur «a» und «u» zugelassen. Die Protagonisten heißen also u.a. Karl, Ruth und Paul und besetzen die Eckpunkte eines libidinösen Dreiecks. An sich stehen beide Männer auf Ruth, die einmal mehr dem einen, mal eher dem anderen zugeneigt ist, «nur: kaum tat Ruth das Maul auf … um frank und blank Ruths Standpunkt darzutun … flugs wuchs Karls Flunsch … und Ruths Anwartschaft auf Karls Gunst schwand rasant». Die drei Pünktchen, die im Text notiert sind, markieren übrigens die Schnittstellen, an dem der auch typografisch sehr ausgefeilte Text von einer Einstellung zur nächsten springt. Die einzelnen Sätze oder Satzteile erscheinen wie auf einer hell erleuchteten Leinwand, und dass es insgesamt 637 nummerierte Einstellungen in 17 Akten gibt, hat auch gewiss einen tieferen mathematischen oder zahlenmystischen Grund, den ich allerdings nicht durchschaue. Die visuelle Komponente dieser Literatur, die in Form von Comicstrips, Filmstreifen und Storyboards organisiert ist, kommt im übrigen bei den «Lesungen» Falkners besonders hohe Bedeutung zu: Auch hier tritt die Autorin als solche in den Hintergrund und agiert als Ingenieurin, die dafür sorgt, dass die für ihre Multimediashows angefertigten Projektionen und Tonspuren auch synchron laufen. So viel Perfektionismus ist beeindruckend, vor allem, weil er dem unmittelbaren Charme des Textes keineswegs im Weg steht. Auch wenn man die dahinter liegenden Ordnungssysteme nicht restlos durchschaut, ist es ein Vergnügen, Falkners Sprach-Filme zu betrachten. Schon allein Komposita wie «Facharsch», «Ambulanzduft», «Harnabschlagplatz» oder «Suhrkampbuchumschlagfarbskala» weisen die Autorin als Spitzenkraft auf dem Wort(er)findungssektor aus. Darüber hinaus werden aber auch noch prächtige Reime («das Unschuldslamm, das zum Handkuss kam»; «Karls Schachkumpan nahm Kurs auf Karls Umlaufbahn»; «WRRUMMMM! fuhr Pauls Mazda durch Karls Wachtraum: ,Platz da!'») wie nebenher eingestreut, und an Anagrammen (Santa und Satan, Schlaf und falsch, Arnulf und Unralf …) herrscht ohnehin kein Mangel. Wer aus einem derart reichen Fundus schöpft, kann es sich auch leisten, aufgelegte Wuchteln nicht abzustauben (dem Vernehmen nach ist Falkner eine ausgesprochen torgefährliche Fußballspielerin). Wenn eine gewisse Dagmar auftritt – deren Charakterisierung, nebstbei, auch auf die Autorin selbst zutrifft: «Dagmars Sprachfundus: putzwach & autark» –, bewegt die Verbalperistaltik den Wortbrei schon Richtung «Mastdarm», «Anus» und «Darmausgang». Hier gilt es natürlich weiterzumachen. Und so geschieht es auch: «‹Schasquastl …› kam aus Dagmars Mund.» Es geht dann noch ein bisschen so weiter, und en passant wird auch noch reimend auf die etwaigen analen Wurzeln der Dichtkunst angespielt («Stuhldrang und Ausdruckszwang»), aber das sich nahezu aufdrängende Anagramm der genitivischen Dagmar, nämlich «Darmgas» bleibt ungenutzt. Tja, wer mit 7:0 vorne liegt, kann einen Elfmeter auch mit der Ferse treten.
– Klaus Nüchtern, Falter 46 (11/2001)